Kapitel 11 – Ein sprachpolitisches Triptychon

Über unerwünschte Worte und Begriffe

Als ich begann, dieses Buch zu schreiben, ahnte ich nicht, dass eines meiner Kapitel ein sprachpolitisches werden würde. Ich habe gezögert, diesen Text zu schreiben. Nicht, weil ich nicht wusste, was ich sagen will – sondern, weil ich mir vorstellen konnte, wie laut die reaktionäre Empörung sein könnte, wenn man leise Wahrheiten ausspricht.


Anfang 2025 veröffentlichte eine große amerikanische Zeitung und später PEN America eine Liste jener Begriffe, die in öffentlichen Behörden nicht mehr verwendet werden sollen. Es sind keine Kampfbegriffe, keine Parolen – es sind Worte wie Klimakrise, Gleichheit, soziale Gerechtigkeit, Vielfalt, Frauen – Worte, die man nur dann fürchten muss, wenn man ihre Bedeutung nicht aushalten will.


Ich glaube: Sprache ist nie nur Dekoration. Sie ist Entscheidung. Deshalb ist dieses Kapitel nicht nur ein Text – es ist ein Gegenentwurf. Ein Versuch, einige der Wörter sichtbar zu machen, die aus dem öffentlichen Raum gedrängt werden sollen und in meinem Kontext der Klimadebatte und der nachhaltigen Marktwirtschaft stehen.


Ein Gedächtnisort in Sätzen.


Ich lade Sie ein, diesen Text nicht nur zu lesen, sondern zu spüren. Denn manchmal ist das, was nicht mehr im Klartext ausgesprochen werden darf, genau das, worüber wir sprechen müssten.


Im Archiv der unerwünschten und unausgesprochenen Wahrheit

In einer Zeit, in der Klimawissenschaft nur noch als Meinung galt und saubere Energie als Luxusgut mit Privilegien für Wohlhabende abgetan wurde, erhoben sich nur noch leise Stimmen des Aktivismus.
Die Aktivisten, oft selbst Teil einer gefährdeten Bevölkerung, sprachen von Gleichheit, sozialer Gerechtigkeit und dem Wunsch, 

die Vielfalt zu erhöhen – nicht nur in der Energieversorgung.
Doch jedes Wort wurde ihnen zum Verhängnis. Technologieoffenheit wurde zum Neusprechwort für Diskriminierung der alternativen Perspektiven – verschwiegen durch implizite Vorurteile, genährt von Bestätigungsverzerrung und unbewusster Voreingenommenheit.
Die Umweltqualität verschlechterte sich sichtbar. Die Verschmutzung nahm zu, das Wasser wurde knapp, die Atmosphäre wurde wärmer – und schwerer zu ertragen. Die Menschen durchlebten das neue Denken – traumatisch hinterließ es tiefe Spuren.
Ganze Gemeinden wurden unterversorgt. Stimmen der Vernunft waren unterrepräsentiert und unterbewertet. Der Zugang zu Gesundheit sank – und mit ihm stieg der Gesundheitsmangel, vor allem bei Minderheiten.
Es entstand ein neuer Status: der der Opfer, der Unterdrückten. Stereotype und Vorurteile wurden zur Norm, Hassrede zur Waffe. Alle sprachen ähnlich – wer abwich, fiel auf.
In den Schulen durfte man nicht mehr über Identität, nicht über Trauma, nicht über Orientierung sprechen. Alles war zu politisch

zu vielfältig, zu störend für das Narrativ. Die Polarisation wuchs – genährt von der Angst, die Dinge gerecht zu benennen.
Nur heimlich wurde noch an Orten gesprochen, an denen man Begriffe wie Vielfalt fördern oder Vielfalt steigern nicht löschen konnte.
Dabei spielte es keine Rolle mehr, um welche Vielfalt es ging: Institutionell voreingenommen zu sein, ist der stille Nährboden von Ungleichheit.
Ob fossile Energieversorgung, Zerstörung der Artenvielfalt oder Klimakrisepolitisch und sozioökonomisch wird Unrecht zu Recht und Ordnung.
Auch wenn Unterdrückung der Worte geschieht, werden sie dennoch nicht verschwinden. Es wird erinnert werden. Wenn Menschen erkennen, dass großes Unrecht geschieht, werden sie nicht schweigen. Sie werden Worte finden, die das Geschehene aufzeigen.


Epilog oder Echo?

Dies ist ein Text, der in einer möglichen Zukunft nicht mehr erzählt werden dürfte, wenn institutionalisierte Wächter – als Instanz für sprachliche Wirklichkeitsformung – den Menschen die Meinungsfreiheit gestohlen haben würden. Und dennoch: Nicht alles ließ sich zum Schweigen bringen. Man sagte etwas – aber meinte nichts. Sprache war nur noch ein Rauschen – verstärkt in den Echokammern der Selbstbestätigung.


Wenn ich diese Sätze tatsächlich schreiben müsste, dann wären Menschenrechte nur noch der Schatten einer Vergangenheit – einer Vergangenheit, die man sich wieder herbeiwünschen würde.


Falls Sie den folgenden Satz einmal nicht mehr lesen können – dann wissen Sie: Die Kuratoren der Sprachordnung werden gewonnen haben. Denn dann wird dieser Text nicht mehr erzählt werden können, weil das, was einst verhindert werden sollte, doch stattgefunden haben wird:


„Gerne wünsche ich mir, dass ich das nicht geschrieben haben müsste – in einer Zeit, in der Freiheit nicht mehr für alle die Gleichheit in der Freiheit der Menschen sein würde.“


Wenn wir heute von einer „wehrhaften“ Demokratie sprechen, dann sollten die Sprache – und die Bedeutung der Worte – den ersten Rang erhalten.


Lasst es uns aussprechen

Johannesevangelium 8,7…: 

„Als sie hartnäckig weiterfragten, richtete er sich auf und sagte zu ihnen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie. … Als sie das gehört hatten, ging einer nach dem anderen fort, zuerst die Ältesten. Jesus blieb allein zurück mit der Frau, die noch in der Mitte stand.“


Nicht Anklage soll uns bewegen – sondern Zuversicht. 

Dietrich Bonhoeffer schrieb um Neujahr 1945: 

„Von guten Mächten wunderbar geborgen, 

erwarten wir getrost, was kommen mag. 

Gott ist mit uns am Abend und am Morgen 

und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“


Ausleitung des Unerwünschten

Es gibt Texte, die nicht laut sein müssen, um deutlich zu sprechen. Texte, die nichts beweisen wollen – und doch alles sichtbar machen. Texte, die nicht anklagen, sondern erinnern. Die vorangegangenen Zeilen sollen zu diesen Texten gehören. Sie sind kein Aufruf, kein Manifest. Sondern ein Versuch, Worte festzuhalten, bevor sie verschwinden.
Was passiert, wenn Sprache politisch gelenkt wird? Wenn Begriffe aus öffentlichen Debatten verbannt, wenn Zusammenhänge nicht mehr benannt, wenn Gerechtigkeit nicht mehr ausgesprochen werden darf?
Dieses Kapitel ist ein sprachlicher Gegenentwurf. Es soll aber kein leiser Abschied sein. Es ist ein Anfang zum Hinhören inmitten des Schweigens.


Um zu verstehen, was ich meine, schreibe ich die „archivierte Wahrheit“ in drei anderen Varianten auf – entleert, technokratisch und technokratisch übersetzt.


Abschnitt 1: Wissen und Identifikation

Original – Die Stimme
Das Fenster zur Welt, der Blick nach außen: offen, klar, ungeschützt, ehrlich.
In einer Zeit, in der Klimawissenschaft nur noch als Meinung galt und saubere Energie als Luxusgut mit Privilegien für Wohlhabende abgetan wurde, erhoben sich nur noch leise Stimmen des Aktivismus.


Entleerte Variante – Das Schweigen

Der Nebel, der die Wahrheit schluckt: Leere, Auslöschung, Verunsicherung.
In einer Zeit, in der man nicht mehr wusste, was als wahr gelten durfte, erhoben sich nur noch leise Stimmen.


Technokratische Variante (TV*) – Die Maske
Der Spiegel, der zeigt, was das System sehen will: als Projektion oder als Zerrbild.
In einer Phase multiperspektivischer Diskursentwicklung wurden bestimmte kommunikative Elemente als potenziell störend identifiziert.


TV übersetzt – Die Entlarvung
Willst du so leben? Ist es Dein Bild – die Entschlüsselung deines Selbst – oder nur die Antwort des Spiegels?
In einer Zeit mit vielen verschiedenen Meinungen wurde entschieden, dass bestimmte Meinungen störend sein könnten. Was es zu wissen galt, wurde vorgegeben.


Ist es Zufall, dass „TV“ hier als Kürzel für Medien aller Art stehen kann – von Fernsehen über Radio, Print und Social Media bis hin zu Virtual Reality? Es ist eine Symbolik dafür, wohin wir uns verführen lassen – oder vielleicht sogar lassen wollen.
Wie angenehm kann doch eine Welt sein, in der Freiheit darin besteht, andere entscheiden zu lassen, was gerade (noch) gesellschaftlich opportun ist?


Abschnitt 2: Worte unter Verdacht

...


Wenn Worte nicht mehr frei sind – und Sprache kippt

Zuerst verschwinden die Wörter – und dann fehlen die Worte („Wörter“ meint einzelne Begriffe, „Worte“ meint Sinnzusammenhänge oder Gedanken), mit denen man denken, fühlen, widersprechen könnte. Was übrig bleibt, ist Schweigen. Nicht aus Gleichgültigkeit, sondern aus sprachloser Ohnmacht.


Kapitel 11 zeigt mit einem sprachpolitischen Triptychon, wohin Sprache sich entwickeln kann, wenn wir nicht wachsam bleiben. 


Wenn Begriffe aus dem öffentlichen Raum verschwinden, ist das kein bloßer sprachlicher oder kultureller Nebeneffekt – ihr Verlust ist ein Symptom gesellschaftlicher Verschiebung.


Was geschieht, wenn Sprache zur Zielscheibe wird – und mit ihr das, was sie benennt? Wenn einzelne Wörter (Begriffe) oder Worte (Zusammenhänge) unter Verdacht geraten – wie schnell gerätst du selbst ins Visier? Wie schnell wird jemand einsortiert, beurteilt, verurteilt – nur wegen eines „falschen“ Wortes?


Ob von rechts oder von links: Sprachwächter und Doppeldenk-Neusprech-Manipulanten jeder Couleur, die (moralische) Deutungshoheit für sich in Anspruch nehmen, gefährden die Freiheit.


Natürlich hat jede Sprache ihre Grenzen – dort, wo Worte verletzen, diffamieren, bedrohen oder zur Gewalt aufrufen. Ethische, rechtliche und soziale Schranken sind kein Maulkorb, sondern Ausdruck eines zivilen Miteinanders. 

Doch jenseits dieser klaren Grenzen beginnt ein anderes Phänomen: das schleichende Verschieben dessen, was noch gesagt werden darf – nicht durch Gesetze, sondern durch Diskursmacht und Deutungsanspruch.


Gedanken lassen sich nicht verbieten – aber wenn die Begriffe fehlen, um sie mitzuteilen, reduziert sich der Sprachraum für Verständigung und Verständnis.


Nicht die Lautstärke ist das Problem, sondern der Verlust an Bedeutung von Worten.


Wenn Sprache politisch umgedeutet wird, verliert Demokratie ihren Gestaltungsraum. Und ohne die Fähigkeiten zur Gestaltung – ob beispielsweise durch Resilienz oder durch Resonanz – entwickelt sich kein Widerspruch. Und ohne Widerspruch und Reflexion kommt Freiheit in Gefahr.


Wer wissen will, wie Sprache kippt – und wie sie sich retten lässt –, wird im Triptychon fündig: Kapitel 11 meines Buches entfaltet den Blick dorthin, wo Worte wieder Bedeutung gewinnen.